Meinung weekly: Alles geht schief
Zwischen „alles wird gut“ und „alles geht schief“ ist in den nächsten Monaten vieles möglich. Brexit, der US-chinesische Handelskonflikt und die Anti-EU-Budgetpolitik Italiens sind einige der Risiko-Faktoren, die die Marktteilnehmer im nächsten halben Jahr beschäftigen werden. Das Gefährliche dabei: Selbst wenn sich das Blatt kurzfristig zum Positiven wenden sollte, sind damit nicht automatisch alle Gefahren gebannt.
Lassen Sie uns die drei Fälle einmal einzeln analysieren: Angenommen, die italienische Regierung gibt im Haushaltsstreit mit Brüssel nach und reduziert das Defizit etwas. Die EU lässt sich vielleicht davon beeindrucken und verzichtet auf Sanktionen. Kurzfristig lassen sich die Märkte damit wohl beruhigen. Aber mittelfristig steuert Italien angesichts rückwärtsgerichteter Reformen auf ein Desaster zu. Die Kombination von wirtschaftlicher Stagnation, einer höheren Verschuldung und steigender Zinsen könnte dazu führen, dass Italien nach spätestens zwei Jahren vor zwei Alternativen steht: Bei der EU Hilfe gegen Reformen beantragen oder die Zahlungsunfähigkeit anmelden. Nötig ist daher die Einsicht, dass nur produktivitätssteigernde Reformen dem Land wieder auf die Beine helfen. Die Jahre 2011/2012 haben gezeigt, dass diese Einsicht auch in Italien durchaus möglich ist.
Kommen wir zum Brexit. Sollte im britischen Unterhaus am 11. Dezember oder in einem späteren zweiten Wahlgang die entscheidende Abstimmung zugunsten des vorliegenden Scheidungsvertrags ausfallen, wäre das natürlich eine Erleichterung. Die Alternative eines ungeordneten Ausstiegs aus der EU würde die Existenz vieler Unternehmen gefährden. Wäre aber Großbritannien mit dem Scheidungsvertrag über dem Berg? Vermutlich käme es erst mal zu einer handfesten Regierungskrise, da die Premierministerin Theresa May die Zustimmung nur mit den Stimmen der Opposition erreichen dürfte. Neuwahlen sind dann wahrscheinlich, die Spaltung des Landes könnte sich vertiefen. Kurz: Auf der Insel würde zunächst keine Ruhe einkehren. Aber immerhin: Der disruptive Fall eines harten Brexit wäre abgewendet.
Was ist schließlich mit dem Handelskonflikt zwischen den USA und China? US-Präsident Donald Trump hat beim G20-Gipfel in Buenos Aires mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping einen Waffenstillstand vereinbart. Man will 90 Tage verhandeln und die USA haben angekündigt, bei einem ausreichenden Ergebnis auf Zollerhöhungen von 10 % auf 25 % zu verzichten. Abgesehen davon, dass die Finanzmärkte das Abkommen aus gutem Grund mit Skepsis beurteilen, stellt sich die Frage: Ist damit die Welthandelsordnung gerettet? Leider nein. Denn die Welthandelsorganisation (WTO) ist in Gefahr, im kommenden Jahr unter die Räder zu kommen. Ein Kernelement der WTO ist das in Genf angesiedelte Schiedsgericht beziehungsweise das dazugehörige Berufungsgericht. Dieses besteht üblicherweise aus sieben Richtern. Da die USA seit 2017 die Nachbesetzung der Vakanzen blockiert haben, sind derzeit nur noch drei Stellen besetzt. Ende des kommenden Jahres werden zwei weitere Stellen vakant. Bei Nicht-Besetzung verliert das Berufungsgericht aber seine Handlungsfähigkeit. In den letzten Jahrzehnten war es gerade diese Institution, deren Gerichtsurteil als letztinstanzliche Entscheidung von allen Mitgliedsländern akzeptiert wurde. Es sorgte für Handelsfrieden. Ohne dieses Gericht droht Handelskrieg. Aber es gibt Hoffnung: So wird beispielsweise das bereits totgesagte Nafta-Abkommen nach harten Verhandlungen unter einem neuen Namen fortgeführt. Es zeigt, dass trotz aller Inkonsistenzen in der US-Handelspolitik sich doch noch die Vernunft durchsetzen kann.
In den kommenden Monaten kann vieles schief gehen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass alles aus dem Ruder läuft. Und vielleicht wird am Ende doch noch alles gut.
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